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AutorenbildPatrick Figaj

Grenzen der Erinnerung.

Aktualisiert: 17. Sept. 2021


Foto: Tobe Roberts / Pexels

In Berlin soll ein neues Denkmal entstehen. Ein Ort, an dem man sich erinnern kann. An die polnischen Opfer des Nationalsozialismus. Und ich frage mich: Wird das wirklich erst heute diskutiert. In dieser Form? Oder habe ich das einfach nur nicht verfolgt? Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Klar ist nur: Wir wissen verdammt wenig voneinander - in Polen. Und in Deutschland. Und es wird Zeit. Die Frage ist nur: Wie?


Jetzt mal ehrlich: Macron, Biden, Johnson. Es gibt internationale Politiker, die sind uns so geläufig wie die eigenen Spitzenpolitiker im Land. Und wir sehen sie jeden Tag. Lesen über sie. Orientieren wir uns in die andere Richtung: Klar - Putin! Aber beim polnischen Ministerpräsidenten, da wird es mitunter - wenn man sich umhört - schon etwas dünner. Mateusz Morawiecki heißt der Mann. Aber darum geht´s mir hier gar nicht. Es geht ganz grundsätzlich um ein seltsames Verhältnis: Das zwischen Polen und Deutschland.


Schlingern statt Annähern

Wir haben das alle mehr oder weniger in der Schule gelernt. Das ist ein schwieriges Verhältnis. Der Überfall auf Polen. Klar. Aber so klar ist das gar nicht. Wer alleine in dieses Thema eintaucht merkt ziemlich schnell: da stößt man an Grenzen. Wissensgrenzen. Und das sind gleichzeitig Grenzen der Erinnerung.


Umso besser, dass es jetzt einen Ort geben soll, einen ganz neuen Ort, an dem man sich erinnern kann. Wobei. Sprechen wir jetzt über ein Mahnmal. Ein Denkmal. Einen pädagogischen Erinnerungsort. Eine Gedenkstätte? Da fängt es doch schon an. Und genau an diesem Punkt ist die Diskussion angekommen. Vielmehr ist es ein Schlingern und sich winden. Denn im Grunde ist nur eines ziemlich deutlich geworden bislang bei der Suche nach einem Ort der Erinnerung: Es ist verdammt kompliziert.


Fundamentale Wichtigkeiten

Ich beschäftige mich seiner einiger Zeit intensiver mit der Geschichte meines Großvaters Tadschu. Eines "Heimatlosen Ausländers". So führe ich ihn in die Erzählung ein. Diesen Begriff nutze ich oft, wenn ich über ihn spreche. Aber eigentlich war mein Opa für mich immer Pole. Völlig klar. Da bestand kein Zweifel. Auch wenn er keinen polnischen Pass mehr hatte. Er war dort zur Welt gekommen, aufgewachsen, und hatte lange in diesem Land gelebt. Bis er verschleppt wurde. Und als Zwangsarbeiter in Kassel eingesetzt wurde.


Der Ort, der der Erinnerung an die polnischen Verfolgten des NS-Regimes dienen soll, wird in Berlin entstehen. Das neue Denkmal soll Realität werden. 2020 vom Deutschen Bundestag entschieden. Bis es überhaupt soweit war, ist ziemlich viel Zeit verstrichen. Jetzt hat Bundesaußenminister Heiko Maas also gesagt:


Dieser Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen sei "fundamental wichtig."


Im Zentrum, heißt es, soll ein Denkmal für die Opfer des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Besatzung in Polen stehen. Und Maas sagte weiter:


"Es ehrt ihre Leben, ihren Widerstand und ihren Mut."


Das sind nur zwei Zitate. Und ich will es dabei belassen. Denn im Grunde reicht das schon. Deutlich wird: Das klingt alles sehr groß und schwer. Und das ist es auch. Die Diskussion und die Suche nach einer geeigneten Form ist geradezu erschlagend. Und vielleicht gibt es auch deshalb nicht wirklich richtig viel öffentliche Aufmerksamkeit für so etwas.


Ich habe die Verantwortung seine Geschichte zu erzählen

Jetzt kann man sagen: Wir erinnern uns doch schon ausreichend. Wir haben viele Gedenk- und Dokumentationsorte. Plätze der Begegnung und Versöhnung. Das ist auch gut so. Und wichtig. Und jeder einzelne Stein hat seine Berechtigung.


Allerdings sind mir zwei Dinge in diesem Zusammenhang aufgefallen. Auf den ersten Blick haben sie nicht viel miteinander zu tun. Aber vielleicht doch mehr, als man zunächst denkt.


"Ich bin ein Gegner der Errichtung von Denkmälern. Es sei denn, es handelt sich um Monumente, die über unsere Generationen hinausreichen. Erst dann würden sie ihren Zweck erfüllen."


Ein schwieriger Satz. Aber ich maße mir mal an, ihn aus meiner ganz anderen Perspektive zu interpretieren. Und ich bin in diesem Moment selbst erstaunt, dass ich mich überhaupt in diese Perspektive versetze. Stanislaw Zalewski würde ich antworten:



Tadschu (Mitte) als Zwangsarbeiter in Kassel 1943

Ich bin diese Generation, von der er spricht. Hier schreibe ich und denke an meinen Großvater. Mein Opa war eines dieser polnischen Opfer des Nationalsozialismus. Wenn seine Geschichte auch ganz anders verlief, als die großen Stränge der Geschichtsbücher uns das erzählen. Denn er überlebte den Krieg als Zwangsarbeiter. Er wurde nie in ein Konzentrationslager gebracht. Nach allem was ich bisher weiß, auch in kein Arbeitslager. Er war ziviler Zwangsarbeiter. In seinen Dokumenten ist das Kreuz bei der Glaubensrichtung Katholik gesetzt. Er hat sich unter Brettern bei Bombenangriffen versteckt und durch den Hof seiner Fabrik wurden getötete, vorab erhängte Kollegen geführt, um die polnischen Kräfte abzuschrecken. Er musste ein Abzeichen tragen. Ein P. Die Polenerlasse erniedrigten ihn und seine Mitmenschen aufs Tiefste. Diesen Lebensabschnitt hat er nach 1945 irgendwohin weggeschlossen. Und den Schlüssel weggeworfen. Die Erinnerung daran, das Unrecht, wurde nie wieder angesprochen. Und dennoch hatte er am Ende Glück. Und er resignierte nie. Sondern nahm sein neues Leben an. Zwei Generationen später könnte ich das einfach vergessen. Und keiner käme je auf die Idee, mich in diesem Zusammenhang nach so einer Geschichte zu fragen. Aber wäre das richtig? Ich kann mich heute nur bruchstückhaft dieser Zeit nähern, doch die Puzzlesteine setzen sich durch die Hilfe von digitalisierten Archiven wieder zusammen. Und ich kann ganz langsam, aber immer besser nachvollziehen, wie diese Zeit für ihn gewesen sein könnte. Ich spüre eine Verantwortung, diese Geschichte eines einfachen Mannes, der verschleppt und zum Zwangsarbeiter wurde, in das kollektive Gedächtnis unserer Gesellschaft zu übertragen*. In ein Monument, das im übertragenen Sinne größer ist, als ein steinernes Denkmal. Eine Erinnerung.


Ich frage mich heute, ob man betroffen sein muss, um diese Sicht zu vertreten. Ich glaube ja und nein. Ja, weil man die Debatten vielleicht mit größerer Tiefe und stärkerem Interesse verfolgt. Nein, weil ich merke, wie sich die heute Enkelgeneration wieder intensiver mit der Zeit ihrer Großeltern auseinandersetzt. Und damit auch mit Polen. Mit unseren direkten Nachbarn. Ein Land, das ebenfalls Probleme hat, wie wir sie auch in Deutschland diskutieren. Nur auf einem ganz anderen Niveau: Nationalkonservative, teilweise mit Extremsten Ansichten, die versuchen den politischen Diskurs immer stärker zu beeinflussen. Eine Presse, die unter Druck steht. Und nicht Zuletzt: Fragen der Zuwanderung.


Der lange Atem der Geschichte

In einem Buch über Zwangsarbeiter in Kassel, dass ich erst seit kurzem habe, steht, dass unser Verhältnis, unsere Vorstellung von Arbeitskräften aus Osteuropa noch heute davon geprägt ist, was an Vorurteilen durch das NS-Regime in der Bevölkerung zu dieser Zeit geschürt wurde. Geschichte endet nicht. Sie ist verbunden. Und das Handeln der Menschen in dieser Zeit ist noch heute spürbar. Gerade deshalb ist es wichtig, bleibt es wichtig, zu erinnern.


Ich habe mich gefreut, als die Debatte jetzt wieder von der Tagespolitik aufgenommen worden ist. Gleichzeitig habe ich die Befürchtung, dass es noch Jahre dauern wird, bis es soweit ist. Opferverbände haben Ängste, nicht gehört zu werden. Nicht ausreichend beteiligt worden zu sein. Für mich ist das schwer zu beurteilen. Ich kann es nachvollziehen. Aber es darf kein Ringen um größeres Leid geben. Schicksale sind verschieden. Und eine gemeinsame Erinnerung, die zu einer stärkeren Annäherung zwischen Polen und Deutschland führen könnte, kann nur für uns alle von Vorteil sein. Gerade in einer Zeit, in der die EU es schwere hat denn je, ihre Mitgliedsstaaten unter einem Hut zu halten. Ich hoffe deshalb es wird dann doch schneller gehen als bislang, bis ich an diesem Denkmal, wie auch immer es dann aussehen wird, für meinen Opa stehen werde. Nicht nur für ihn, für seine gestohlene Jugend, sondern auch für seine Freunde und Kollegen, die er nie wieder sehen konnte.


Von denen nichts blieb, als ein paar Zeilen in seinem Poesiealbum, das heute bei mir auf dem Schreibtisch steht.



* Danke Nora Hespers für den Impuls Teil eines "kollektiven Gedächtnisses" zu sein, aus: Mein Opa, sein Widerstand gegen die Nazis und ich





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