Morgen wird wie heute, wenn die Welt nicht zusammenbricht. Daran ändert sehr wahrscheinlich auch ein kleiner Wahlerfolg einer rechtsextremen Partei nichts. Alarmsignal? Sicher. Gab es viele in den vergangenen zehn Jahren.
Überall Analysen, Kommentare, die Suche nach der politischen Rettungsinsel. Das ist auch wichtig, gehört dazu. Aber etwas Entscheidendes fehlt. Ein Idee. Nicht im Kleinen. Strategien im Umgang mit ewig gestrigen sind wichtig. Vieles was Parteien bislang unternommen haben, funktioniert nicht. Oder kaum. Der Zuspruch für die AfD bleibt bestehen.
Das Ost-West-Dilemma. Für ein Kind der Wende aus dem Westen, das in einem gemeinsamen Deutschland aufgewachsen ist, oft schwer zu greifen. Natürlich: Sichtbar. Aber vieles bleibt auch nach zahllosen tiefschürfenden Texten nur an der Oberfläche. Erklärungen, warum sich Menschen in einem Land teilweise so konträr zueinander verhalten – nachvollziehbar. Und doch wieder nicht. Denn die Zeit steht nicht still.
Im Augenblick schon gar nicht. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Erhitze Meeresoberflächen. Menschen, die in Lagern an EU-Außengrenzen vertröstet werden. Wenn sie es überhaupt bis dorthin schaffen.
Alleine das löst bei mir ein enormes Gefühl des Unbehagens aus. Lager. Zäune. Abgetrennte Orte, die nur durch Flucht oder Vertreibung zu erreichen sind. Perspektiven nur bis zum nächsten Stacheldraht, das Meeresgrollen als drohende Warnung im Rücken. Ausgeblendet und bis zur Unkenntlichkeit marginalisiert von der europäischen Öffentlichkeit. Das ist alles andere als wertvoll. Und entspricht so überhaupt nicht dem europäischen Gedanken. Geschweige denn: Werten. All das, flankiert von zutiefst disruptiven Debatten über Schicksale Tausender. Welche ungeschriebene Zukunft jede Seele noch vor sich hat, jedes Kind, jede Frau, jeder Mann - schürt einem den Atem ab, wenn es schlicht nur darum geht, wohin diese Menschen verteilt werden sollen. Oder hinter welchem Zaun sie womöglich am wenigsten stören. Das ist nicht nur unmenschlich. Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit an den Rändern dieses Kontinents. Und eine Lösung dafür nicht ansatzweise greifbar.
Es sind internationale Machtstrukturen, die sich verschieben – wohin – nicht zu deuten. Eine Asien-Pazifik-Region, so weit weg, und doch so nah. Und unverstanden. Es ist ein ständiges Klirren, Summen und Weltenbrummen, das uns chaotisch umgibt.
Ein staubiger Sommer voller Fragezeichen
Und eines fehlt. Eine Idee. Nicht für eine Lösung all dieser Fragen und Zustände. Sondern eine, wohin die Reise gehen soll. Eine gemeinsame. Welche Rolle spielt Deutschland, wer ist Deutschland in dieser aufregenden und aufgeregten Zeit. Nach innen. Nach außen? Schemenhaft deutend bewegend wir uns voran. Ein staubiger Sommer voller Fragenzeichen über gelblich verdorrten Wiesen. Ein unsicheres Umschauen zu den Krisen dieser Welt. Ein angsterfüllter Blick in innenpolitische Gespenster, die lauthals die Vergangenheit herbeischwören. Unter Vorwänden zu wissen, was Menschen wollen.
Sie wollen mindestens eine Antwort. Eine Vision, was dieses Land kann. Wir brauchen eine Zustandsbeschreibung. Wir sind uns in den großen Innenstädten dieser Republik nicht fremd. Wir sind alle anders. Und das wird sich nicht ändern. Wir sind eine heterogene Gesellschaft. Und nichts anderes hilft uns in einem Europa, dass nur gemeinsam vorankommt. Was seit Jahren erzählt wird. Und doch wachsen Grenzzäune. Die Missverständnisse nehmen zu. Aber auch hier geht es um Identifikation. Wer sind wir als Europäer? Wer als Spanier, Italiener, Polen, Portugiesen, Dänen, Kroaten, Deutsche? Wo ist das Gemeinsame, und wo muss es gar nicht sein?
So schwierig diese Frage zu beantworten ist, so simpel ist sie gleichzeitig in ihrer Formulierung. Und sie ist übertragbar. Auf uns als Land. Das eine frische Idee von dem braucht, was es sein möchte. Lächelnd, warm, mit wunderschönen Städten und Landstrichen. In überwältigenden Teilen friedlich und innovativ. Interessiert und tolerant. Wir haben das Talent, diese Attribute fallenzulassen und wegzuschließen.
Länder sind keine Influencer
Länder sind keine Influencer. Aber eine Scheibe dessen, was man sich selbst zutraut und auch schafft ins Schaufenster zu stellen, um es immer wieder neu glänzen zu lassen, das kann nicht schaden.
Am Ende kann eine Idee, eine Vision, eine Vorstellung von dem was man ist und was man kann, Gemeinschaften zusammenschweißen. Das braucht Mut. Selbstreflexion. Offenheit. Und vor allem: Klarheit. Eine positive Vorstellung von dem, was ist. Dafür müssen Menschen, müssen Politikerinnen und Politiker weg von glatten und zu sauberen Sätzen, die nichts anderes als ein Schutzschild sind. Probleme - sie müssen benannt werden. Die eigenen Fehler auch abseits von Wahlen eingestanden werden. Und sie müssen brennen für ihre Ideen. Dafür begeistern, Wählerinnen und Wähler mitnehmen. Sie plastisch in ihre Welt mit einbinden. Dafür sorgen, dass das, was angepackt wird, auch rüberkommt. Ohne sich ununterbrochen an dem zu reiben, was nicht geht. Oder noch nicht funktioniert. Oder falsch läuft. Wir müssen uns gegenseitig mitnehmen. In die Verantwortung für eine demokratische Bürgergesellschaft. Die vor allem eines ist: Die Summe ihrer Einzelteile. Lösen sie sich voneinander, hält am Ende gar nichts mehr.
Dann wird alles dunkel. Die Abwehr und Verteidigung endet nur im Stillstand. Und das wäre zu wenig.
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