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AutorenbildPatrick Figaj

Von Widerspruch und Parallelen

Immer wieder fällt dieser eine Satz: Es wiederholt sich alles. Aber was heißt das eigentlich, welche Parallelen gibt es zwischen dem Hass, der aktuell von Rechts kommt, den Netzwerken, den Zusammenschlüssen, den Parteien? "Das erinnert an die 30er", "Wir lernen doch nicht aus der Geschichte" und das "wiederholt sich alles wieder". Es ist schwierig, diese Beschreibungen zu fassen. Klar ist: Viele Muster, Begriffe, Ansätze ähneln dem, was Nationalsozialisten in der dunkelsten Zeit unseres Landes heraufbeschworen haben. Aber an welcher Stelle sind wir gerade, wenn wir über Netzwerke und Hintergrundzimmer sprechen, die geheime Pläne zu Deportationen von Millionen Menschen schmieden, die Ihnen nicht passen?


...Der Zebrastreifen scheint unter meinen Füßen zu kleben.


Der Blick streift die Tankstelle an der Ecke. Der nette Mann hinter der Kasse ist nicht mehr da. Seit Wochen habe ich ihn nicht mehr gesehen. Auch seinen Bruder nicht. Er arbeitet ein Stück weit die Straße runter. Sie hatten viel zu tun in der Werkstatt. Der Winter kam schneller als erwartet. Jetzt ist das Garagentor runtergerollt."Schrauber gesucht" steht auf einem Zettel, der halb zerrissen an einem Klebebandstreifen pappt. Die Schritte durch die kalte Luft tun gut. Es ist immer ein Stück durch den Park. Wie Schnee schiebe ich den Müll mit dem Fuß zur Seite, die Wege sind vermüllt, Einwegflaschen, buntes Plastikpapier. Die vergangenen Wochen hat hier keiner mehr was weggeräumt. Die Stadtreinigung ist in die Innenstadt verlegt worden. "Zu wenig Personal" lese ich in ihrem im letzten Post.


Drei Sätze.

Social Media war schon mal einfallsreicher.


Sie haben das Geld für den Service gekürzt. Keiner aus dem kleinen Team ist mehr da. Die anderen Konten mit Einträgen in verschienden Sprachen gibt es gar nicht mehr. Sie wurden gelöscht.

Ein deutschsprachiger Account muss reichen.

Die, die die türkischen, polnischen, rumänischen und arabischen Posts lesen konnten, sind weggezogen. Die Linguistin der Uni neben der Verwaltung war schon früher weg. Sie ging als eine der ersten. Irgendwann im Herbst 24. Sie hatte das Team immer unterstützt. Ich schrieb gerade ein Porträt über sie. Anfang der 80er war sie in einem kleinen Dorf, knapp 20 Kilometer von hier aufgewachsen. Und nie weg. Das war ihre Heimat. Wo sie jetzt ist, weiss ich nicht. Sie wollte keine Adresse hinterlassen. Das Klima, der Druck um sie herum, die ständigen Einschüchterungen. Sie wollte das ihrer Familie nicht mehr zumuten. Vom einen auf den anderen Tag habe ich sie nicht mehr gesehen.


Meine Hand klebt auf meinem Shirt. Der Arm ist eingeschlafen. Es kribbelt. Und während ich mich drehe, wache ich in meinem heißen Schweiss auf...


Also: Was sind eigentlich diese Parallelen?


Was passiert, wenn wir davon sprechen, dass wir empfinden, etwas wiederholt sich? Dass wir Vergleiche zum Nationalsozialismus ziehen, zur Weimarer Republik. Woran machen wir das fest? Das soll an dieser Stelle kein Faktencheck sein. Auch kein historischer Abriss. Darum geht’s nicht. Sondern darum, Situationen fassen zu können, in denen wir Vergleiche ziehen. Egal ob wir eine persönliche Verbindung in diese Zeit haben. Verwandte, Bekannte durch die Nazis verloren haben.


Das soll ein dynamischer Beitrag sein. An die Situation angepasst. Wo ploppen diese Sätze auf, wann, in welcher Situation, in welchem Kontext? Zum Beispiel, dass etwas nicht mehr gesagt werden darf. Wenn über Lager gesprochen wird, die an dunkle Zeiten erinnern, Unterkünfte, Ausgrenzung durch Nationalität, Völkisches, rassistischer Hass. All diese Dinge.

Sie begegnen uns im banalen Gespräch, in den Medien, im Alltag.


An diesem Freitag telefoniere ich mit einem 74-jährigen Mann. Es geht gar nicht um aktuelle Politik. Doch plötzlich verstummt er.


Wissen Sie, ich habe Angst.
-Wie bitte?
Ich habe Angst.
-Wegen was haben Sie Angst?
Diese Menschen machen mir Angst. Ich dachte wir hätten das hinter uns.
-Sie meinen die Recherche rund um dieses Geheimtreffen?
Ja.
-Sie haben davon gehört...
Viele haben es mitbekommen. Es ist doch schon die ganze Zeit so. Diese schlimmen Dinge, die sie sagen. Sie erinnern mich an das, was mein Onkel mir immer erzählt hat. Ich will so etwas nicht auch erleben müssen. Ich bin mein Leben lang davon ausgegangen, das nicht erleben zu müssen. Es darf nicht sein.

Es ist ein Januarnachmittag 2024.


Nicht real und dennoch da


Das seltsame ist dieses Gefühl, dass dieser Hass und die Ausgrenzung wieder da ist.


Und zwar laut. Und sichtbar. Um uns herum. Nur: In anderem Gewand. Aber in den Städten, Orten, Landschaften, die uns gerade umgeben. Das alles scheint überhaupt nicht hierhin zu passen. Leuchtende Schaufenster, helle Straßen, Lichter, Einkaufspassagen, in der Fußgängerzone sieht alles wie immer aus. Draußen vor der Stadt fließt der Verkehr. Bahnen halten und fahren ab. Menschen versuchen schnell ins Warme zu kommen. Es ist kalt, der Atem gefriert. Und irgendwie auch der Verstand. Das Ganze scheint oder aus der Zeit zu fallen. Und da ist dieses Gefühl: das kann nicht real sein. Ist es aber.


Das ist das, was eine Gesellschaft in eine Art Schockzustand versetzen kann. Einen Zustand, in dem man nicht genau weiß: Was soll ich jetzt machen? Was kann ich jetzt tun? Wie kann ich mich wehren, wie kann ich aktiv werden, wie kann ich mich ausdrücken, do dass ich nicht Teil einer Bewegung bin, die zurück in vergangene Strukturen möchte. Sind wir an diesem Punkt? Erste Gegenprotste, hier oder hier oder hier und auch hier - noch zaghaft, entstehen.


Momente der Demokratie


Und exakt das ist der Punkt, an dem Demokratien beweisen können und beweisen müssen, dass sie funktionieren. Dass Parlamente debattieren, dass Menschen sich austauschen. Auch über Parteigrenzen hinweg. Funktionierende Demokratien zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie Reibung zulassen. Sonst entsteht Stillstand. Und diese Reibung muss am Ende auch dazu führen, dass klar wird: Unsere Freiheit muss ständig und jeden Tag wieder neu verhandelt werden. Gegen alles Dunkle, dass diese Art Zusammenleben verändern möchte. Aus welchen Gründen auch immer.


Heute leben wir in einer anderen Zeit als in den 30ern. Wir haben eine lange Phase hinter uns, in der demokratische Institutionen bewiesen haben, dass sie funktionieren. Recht und Freiheit garantiert werden. Es geht um eine grundsätzliche Ordnung, in der ein friedliches Zusammenleben möglich ist. An diesem Punkt sind wir weiterhin. Nun müssen wir das immer weiter und jeden Tag neu unterstreichen. Die sogenannte Neue Rechte hat Strukturen, die andere sind, als die der alten Ewig-Gestrigen. Die weiterhin große Mehrheit darf sich von Gegnern dieser Struktur und Ordnung nicht auseinander treiben lassen. Und vor allem nicht verängstigen oder einschüchtern lassen. Denn das ist ein Ziel, das verfolgt wird. Angst erzeugt Starre erzeugt Gleichgültigkeit. Das ist einfach gesagt. Dem zu Widersprechen ist die große gemeinsame Aufgabe unserer Zeit. In den kommenden Tagen, Wochen und Monaten. Mehr denn je.

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